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Gutachten über einen möglichen Zusammenhang zwischen dem weltweit beobachteten Amphibiensterben und dem steigenden Einsatz von Glyphosat in der Landwirtschaft am Beispiel ausgewählter Regionen

Laufzeit: 01.11.2011 - 31.03.2012

Partner: PD Dr. Stefan Lötters

Förderung durch: Bundesamt für Naturschutz (BfN)

Projektmittel (€): 37000

Website

Kurzfassung


Hintergrund
Weltweit werden dramatische und unnatürliche Rückgänge von Amphibienpopulationen und selbst das Aussterben ganzer Arten beobachtet. Wissenschaftler versuchen seit langem herauszufinden, was die Gründe hierfür sind. Wahrscheinlich interagieren verschiedene Faktoren. Kontamination der Umwelt, z.B. durch Pestizidanwendungen, ist eine der diskutierten Ursachen. Daher wurde in diesem Gutachten darauf eingegangen, inwiefern der rezente Wandel von der konventionellen hin zur...
Hintergrund
Weltweit werden dramatische und unnatürliche Rückgänge von Amphibienpopulationen und selbst das Aussterben ganzer Arten beobachtet. Wissenschaftler versuchen seit langem herauszufinden, was die Gründe hierfür sind. Wahrscheinlich interagieren verschiedene Faktoren. Kontamination der Umwelt, z.B. durch Pestizidanwendungen, ist eine der diskutierten Ursachen. Daher wurde in diesem Gutachten darauf eingegangen, inwiefern der rezente Wandel von der konventionellen hin zur Landwirtschaft mit gentechnisch veränderten Pflanzen (GVP) Amphibien beeinträchtigen kann. Dieser Wechsel geht mit unterschiedlichen Herbizideinsätzen einher (hin zum exklusiven Gebrauch von Totalherbiziden), kann aber auch zu einer weiteren Zusammenlegung und Ausweitung von Agrarland führen. In Amerika werden in manchen Kulturen fast nur noch GVP angebaut. So beträgt der Anteil von GVP beispielsweise in Soja- und Baumwollkulturen bereits 81%. In Europa, speziell in Deutschland, werden momentan fast keine GVP angepflanzt. Dieses Gutachten behandelt hauptsächlich die potenziellen Auswirkungen, die unterschiedliche Herbizidanwendung beim GVP Anbau im Vergleich zur konventionellen Landwirtschaft auf Amphibien haben kann. Der Großteil der heute angebauten GVP ist herbizidresistent, was bedeutet, dass diese Pflanzen nicht-selektive Herbizide (auch Breitband- oder Totalherbizide genannt) bei der Unkrautbekämpfung bis zu einem gewissen Grad tolerieren. Daher geht ein steigender Anbau von GVP auch mit einem steigenden Einsatz von Totalherbiziden in der Landwirtschaft einher. Meist ist Glyphosat (GLY) der aktive Wirkstoff in diesen Herbiziden. Durch den Einsatz von herbizidresistenten GVP sollen Applikationen selektiver Herbizide gänzlich ersetzt oder auf ein Minimum reduziert werden. Vor allem soll es im Vergleich zur konventionellen Landwirtschaft zu einer Reduzierung des kumulativen Gebrauchs von Herbiziden kommen. Die relative Umweltverträglichkeit von GLY im
Vergleich zu anderen Herbiziden wird häufig hervorgehoben. Obwohl ein GVP-Anbau in den ersten Jahren tatsächlich die genannten Vorteile mit sich bringt, zeigt die praktische Erfahrung aus Amerika (wo GVP bereits seit fast zwei Jahrzehnten im großen Stil angebaut werden), dass es dadurch meist zu einer Vernachlässigung der Fruchtfolge kommt. Da die meist GLY-haltigen Totalherbizide folglich über lange Zeit auf denselben Flächen appliziert werden, haben sich GLY resistente Unkräuter entwickelt, welche durch einen gesteigerten Totalherbizideinsatz oder aber durch einen zusätzlichen Einsatz selektiver Herbizide bekämpft werden müssen. Es scheint, dass eine Abnahme des kumulativen Herbizideinsatzes in der Praxis nicht langfristig erreicht werden kann (obwohl Resistenzen bei Unkräutern kein exklusives Problem von Totalherbiziden, sondern zumeist das Resultat einer nicht nachhaltigen Landwirtschaft sind). Im Hinblick auf die genannte Umweltverträglichkeit von GLY ergibt sich zudem das Problem, dass den im Feld angewandten Formulierungen in fast allen Fällen Netzmittel und andere Stoffe beigemengt sind, welche meist
toxischer sind als der aktive Wirkstoff selbst. Wir führten daher eine breite Literatur- und Datenbankrecherche durch, um folgende Schlüsselfragen zu beantworten:
(i) Welche Konzentrationen von GLY und von seinem Hauptmetaboliten Aminomethylphosphonsäure (AMPA) lassen sich in der Umwelt finden?
(ii) Was wissen wir aktuell über die Effekte von GLY und seinen Formulierungen auf Amphibien?
(iii) Gibt es Wechselwirkungen mit abiotischen und biotischen Stressoren?
(iv) Welche Expositionspfade bestehen für verschiedene Lebensstadien der Amphibien?
(v) Welche Auswirkungen hat ein exklusiver Einsatz von Totalherbiziden beim GVP-Anbau im Vergleich zu dem Einsatz selektiver Herbizide in der konventionellen Landwirtschaft?
Zudem wurde eine statistische, makroökologische Auswertung vorgenommen, um folgende Fragen näher zu beleuchten:
(vi) Gibt es Zusammenhänge zwischen dem Landwirtschaftswandel in Amerika, welcher mit einer steigenden Anwendung glyphosatbasierter Herbizide (GBH) einherging und geht, und beobachteten Rückgängen von Amphibienpopulationen?
(vii) Gibt es heute bereits in Deutschland Anzeichen dafür, dass ein auch hier steigender Einsatz von GBH in der konventionellen Landwirtschaft einen negativen Einfluss auf Amphibienpopulationen ausübt?
Abschließend wurde zusammengetragen und diskutiert,
(viii) welche Datengrundlagen fehlen, um ein schlüssiges Bild von den Wirkungen von GLY und seinen Formulierungen auf Amphibien zu erhalten

Ergebnisse
(i) Die Datenlage zu Umweltkonzentrationen von GLY und dem Hauptmetaboliten AMPA ist spärlich, wahrscheinlich hauptsächlich deshalb, weil die benötigten Laboranalysen verhältnismäßig teuer sind. Nur GLY- und AMPA-Konzentrationen in
Oberflächengewässern können mit potenziellen Auswirkungen auf Amphibien in Beziehung gesetzt werden, da spezielle Studien über Auswirkungen von etwa kontaminiertem Boden fehlen. Maximale Umweltkonzentrationen von GLY sind 0,7 mg a.e./l (a.e. = „acid equivalent“ = Säureäquivalent) in einem benachbarten Gewässer zu GV-Sojafeldern in Argentinien und 1,95 mg a.e./l in einem Waldtümpel in Kanada nach (legaler) Ausbringung eines GBH mit dem Flugzeug. Vorausgesagte Umweltkonzentrationen (Expected Environmental Concentrations = EEC) in Oberflächengewässern sind 1,44 mg a.e./l für Kanada (wo Ausbringung per Flugzeug erlaubt ist) und 0,9 mg a.e./l für Deutschland (Drift bei Anwendung ohne Einhaltung eines Gewässerrandstreifens). Manche Wissenschaftler kalkulierten höhere Werte, bis zu 7,6 mg a.e./l nach direkter Applikation über einem sehr flachen Gewässer. AMPA wurde zumeist in niedrigeren Konzentrationen als GLY, jedoch häufiger nachgewiesen. In der Literatur fanden sich keine EEC für AMPA. GLY und AMPAsind in Umweltproben aus Amerika und Europa regelmäßig vertreten, jedoch zumeist in relativ niedrigen Konzentrationen. Jedoch können die tatsächlichen maximalen Konzentrationen in der Umwelt höher liegen, da die Gewässer zumeist nicht direkt nach einer Herbizidapplikation oder nach den ersten schweren Regenfällen nach der Applikation beprobt wurden. Maximale Konzentrationen von GLY und AMPA sind deswegen von Interesse, weil akuttoxische Effekte bei Kaulquappen meistens innerhalb der ersten 24 Stunden beobachtet wurden. Die vorausgesagten Umweltkonzentrationen für GLY repräsentieren gute Abschätzungen für die maximale Konzentration des Stoffes in der Umwelt und können für eine Risikoanalyse herangezogen werden. Für Deutschland sollten die kalkulierten 0,9 mg a.e./l als „worst-case-scenario“ angenommen werden, jedoch müssen in den meisten Bundesländern Gewässerrandstreifen von mindestens 5 m eingehalten werden, welche die GLY-Konzentration im Wasser auf geschätzt etwa 0,005 mg a.e./l verringern sollten. Nichtsdestotrotz fehlen Detailinformationen zu der realen Kontamination der aquatischen und terrestrischen Lebensräume von Amphibien und des Weiteren werden sehr kleine ephemere Gewässer wie Pfützen oder aber überflutete Felder und Wiesen nicht durch Gewässerrandstreifen geschützt. Diese werden jedoch von vielen Amphibienarten häufig zur Reproduktion genutzt. Zudem besteht das Hauptproblem, dass GLY-Konzentrationen nur eine Abschätzung für eine Kontamination mit der jeweils applizierten Formulierung darstellen, jedoch beigemengte Netzmittel hauptsächlich für schädliche Wirkungen verantwortlich sind.
(ii) Testorganismen in den meisten Studien waren Kaulquappen und es ist rezent sehr wenig über Effekte auf terrestrische Lebensstadien von Anuren und im Allgemeinen auf die beiden anderen Amphibien-Ordnungen bekannt (Caudata und Gymnophiona; d.h. Schwanzlurche und Blindwühlen). Spezielle Toxizitätsstudien mit AMPA fehlen gänzlich. An toxischen Effekten bei Kaulquappen wurden – neben erhöhter Mortalität – Schäden an den Kiemen und verschiedene Missbildungen, Hemmung von Enzymen, oxidativer Stress und mutagene Effekte beobachtet. Beobachtete chronische und verzögerte Effekte waren verkürzte oder verlängerte Dauer bis zur Metamorphose (was zu reduzierter Fitness von Metamorphlingen und eine dadurch verzögerte erhöhte Mortalität einerseits und eine erhöhte Mortalität durch das Austrocknen ephemerer Gewässer andererseits führen kann). In manchen Fällen traten Effekte bei umweltrelevanten Konzentrationen auf. Verantwortlich für schädliche Wirkungen sind höchstwahrscheinlich die beigemengten Stoffe (Netzmittel) und nicht der aktive Wirkstoff selbst. Zudem waren die Reaktionen meist artspezifisch. Manche GBH können als hochtoxisch für Kaulquappen zumindest mancher Arten angesehen werden, andere GBH als praktisch nicht toxisch. Davon kann nicht abgeleitet werden, dass ein Anbau von GVP mit Herbizidresistenz per se schädliche Effekte auf Amphibien hat, da grundlegende Felddaten fehlen und auch, weil Effekte oftmals nicht nur artspezifisch sind, sondern auch vom jeweiligen Amphibienlebensstadium, der Formulierung und der Applikationsmethode abhängen. Die Effekte eines langfristigen GVP-Anbaus mit fast exklusivem Gebrauch von GBH auf Amphibienpopulationen sollten daher lokal beobachtet und bewertet werden.
(iii) Viele Autoren fanden Interaktionen zwischen GLY und GBH mit anderen Stressoren. In den meisten Fällen verstärkte ein zusätzlicher Stressor die Toxizität des Herbizids oder das Herbizid verstärkte den Effekt des zusätzlichen Stressors. Da Amphibienpopulationen in der Kulturlandschaft im Normalfall einer Vielzahl biotischer und abiotischer Stressoren ausgesetzt sind, sollte der Einfluss von Herbiziden auch nicht alleinstehend betrachtet werden.
(iv) Potenzielle Expositionspfade sind vielfältig und beinhalten hauptsächlich direktes Übersprühen wandernder oder rastender Tiere und solcher, die ein Feld als Teilzeitlebensraum akzeptieren, Kontakt mit kontaminiertem Pflanzenmaterial und Boden, die Kontamination von Laichgewässern und die Aufnahme über kontaminierte Nahrung als auch Sediment.
(v) Aussagen zu dieser Fragestellung müssen hypothetischer Natur bleiben, da für Amerika nur sehr begrenzte Datensätze zur Verfügung standen. Daher bleibt es derzeit letztendlich unklar, inwieweit unterschiedliche Applikationszeitpunkte Auswirkungen auf Amphibien besitzen und negative Effekte können insgesamt nur postuliert werden. Nichtsdestotrotz beinhaltet das kommerzielle System, welches aus Saatgut von GVP mit komplementärem Totalherbizid besteht, die Gefahr, dass durch nicht nachhaltige Landwirtschaft Resistenzen bei Unkräutern entstehen und dadurch gleiche und eventuell sogar höhere Herbizidmengen – inklusive selektiver Herbizide – eingesetzt werden müssen. Wenige Studien verglichen den Einfluss selektiver und nicht-selektiver Herbizide auf Anurenlarven direkt. Die Autoren schlussfolgerten, dass manche GBH zumindest zu den toxischsten Herbiziden für Kaulquappen zählen. Zukünftig sollten detaillierte Untersuchungen zu diesem Thema stattfinden. Ob GBH insgesamt gefährlicher für Amphibien sind, bleibt zurzeit dennoch ungewiss. Um diese Frage zu beantworten, müsste eine ausgedehnte Metaanalyse mit einem großen Felddatensatz und speziell durchgeführten Labor-, Mesokosmos-, Feldstudien und Modellierungen durchgeführt werden. Allgemein erleichtert der GVP-Anbau die Vergrößerung und Zusammenlegung von Feldern, was zu weiterer Habitatzerstörung und Isolierung von Amphibienpopulationen führen kann.
(vi) Ein kausaler Zusammenhang zwischen dem steigenden Einsatz von GLY und Bestandsrückgängen bei Amphibien in Amerika kann nicht hergestellt werden, weil Basisdaten fehlen (v.a. für Südamerika) und hauptsächlich weil verschiedenste Faktoren Amphibienpopulationen beeinflussen. Daher ist der Einfluss eines einzelnen Stressors sehr schwierig zu betrachten. Die Aussagekraft der Resultate unserer statistischen Auswertungen ist zudem durch schlechte Modellgüte limitiert.
(vii) In Deutschland scheint die umgebende Landnutzung für Amphibienpopulationen relevanter zu sein als Pestizidapplikationen (inklusive GLY-Anwendungen). Scheinbar haben GBH keine messbaren Effekte auf die betrachteten Populationen, jedoch waren auch für Deutschland nur limitierte Daten erhältlich und die pfluglose Feldbearbeitung – bei der GBH rezent hauptsächlich zur Anwendung kommen – ist im Vergleich zu etwa Amerika seltener. Potenzielle Effekte des Einsatzes von Totalherbiziden bei der pfluglosen Bodenbearbeitung sollten mit denen der traditionellen mechanischen Bodenbearbeitung verglichen werden. Nach einer ersten Einschätzung sollten jedoch beide Methoden vergleichbare negative Wirkungen mit sich bringen.
(viii) Grundlagenforschung zu den Effekten von GLY und seinen Formulierungen auf Amphibien sind weiterhin erforderlich. Zudem sollte versucht werden, Einflüsse von selektiven und nicht-selektiven Herbiziden gegenüberzustellen. Des Weiteren fehlen Daten zum Vorkommen und zu den Habitaten von Amphibienpopulationen in landwirtschaftlich genutzten Gegenden, zu Umweltkonzentrationen von GLY und AMPA und speziell zu Umweltkonzentration von den Formulierungen beigemengten Substanzen in aquatischen als auch terrestrischen Lebensräumen. Daher wurde im Rahmen dieses Gutachtens eine
Defizitanalyse durchgeführt.

Fazit
Die meisten Agrochemikalien, ob Düngemittel oder Pestizide, besitzen das Potenzial, Amphibien, welche in der Kulturlandschaft leben, zu schädigen. Jedoch hat dies nicht zwangsweise Auswirkungen auf die Population. Populationsmodelle – basierend auf einer guten Datenbasis – und/oder Langzeitmonitoring im Feld sind notwendig, um Effekte auf der Populationsebene zu untersuchen. Manche GBH, insbesondere solche mit tallowaminhaltigen Netzmitteln, gehören scheinbar zu den toxischsten Pestiziden für Amphibien, die man kennt. Jedoch können Risiken einer GLY-Nutzung für Amphibienpopulationen nicht per se genannt werden, da es art-, lebensstadien-, formulierungs- und applikationsspezifische Reaktionen gibt. Zulassungen zum Anbau von GVP mit Herbizidresistenz in Deutschland sollten daher mit weiterer Grundlagenforschung und einem Monitoring verbunden werden, das mögliche Auswirkungen des Totalherbizids auf benachbarte Amphibienpopulationen erfassen kann. Dies gilt generell auch für den Anbau konventioneller Kulturen, wenn Totalherbizide bei der pfluglosen Feldbearbeitung eingesetzt werden. Zudem sollte der Totalherbizideinsatz bei der pfluglosen Feldbearbeitung bezüglich seiner Auswirkungen auf Amphibien untersucht werden. Das EU-Recht wie auch das deutsche Recht enthalten Vorgaben für das Monitoring von GVP und um jedwede landwirtschaftliche Praxis, die zu schädlichen Auswirkungen auf Amphibien führt, verbieten zu können.
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Medien


Paar des Grasfrosches (Rana temporaria) im Amplexus. Diese Anurenart kommt häufig in der Kulturlandschaft vor und besitzt daher ein erhöhtes Risiko gegenüber Agrochemikalien exponiert zu werden. Foto: Dr. Ulrich Schulte

Paar des Grasfrosches (Rana temporaria) im Amplexus. Diese Anurenart kommt häufig in der Kulturlandschaft vor und besitzt daher ein erhöhtes Risiko gegenüber Agrochemikalien exponiert zu werden. Foto: Dr. Ulrich Schulte

Veröffentlichungen





Beteiligte Einrichtungen